Konstruktive Kritik unter Kolleg*innen
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Konstruktive Kritik unter Kolleg*innen

Erst runterkommen, Ursachen prüfen, geeigneten Platz und Zeit suchen – dann klar sprechen

Kritik unter Kolleginnen scheitert selten am Inhalt, sondern am Moment: Wer kritisieren will, ist oft genervt, gestresst oder verärgert. Genau deshalb beginnt faire, wirksame Kritik vor dem Gespräch – mit kurzer Selbstberuhigung und Klärung. Erst wenn der Puls runter ist und der Bedarf klar, lohnt sich das Gespräch auf Augenhöhe. Dieser Leitfaden zeigt, wie das in der Praxis funktioniert: mit einer kurzen Vorbereitung, einem fairen Ursachenblick, einer klaren Gesprächsstruktur und Tipps für beide Seiten – Kritikgeberin und Empfänger*in.

1. Runterkommen: 3 Minuten, die alles entscheiden

Atem & Tempo: Vier Sekunden ein, sechs Sekunden aus – fünf ruhige Atemzüge. Das senkt die Erregung, die Stimme wird ruhiger.
Mini-Notiz statt Monolog: Stichworte notieren: Wann/wo? Was genau habe ich gesehen/gehört? Welche Wirkung hatte es? Was wünsche ich mir fürs nächste Mal?
Intention prüfen: Will ich Dampf ablassen – oder unsere Zusammenarbeit verbessern? Wenn’s um Dampf geht: erst bewegen, dann reden.
Rahmen setzen: Keine Kritik im Vorbeiflug oder im Chat. Lieber: „Hast du heute 10 Minuten unter vier Augen? Es geht mir um unsere Zusammenarbeit bei X.“

2. Bedarf klären: Wozu sprechen wir?

Zwei Leitfragen genügen:
(a) Was soll künftig anders sein? (beobachtbares Verhalten)
(b) Warum ist das wichtig? (Wirkung auf Qualität, Zeit, Team, Kunde)

Wenn du das in ein bis zwei Sätzen sagen kannst, bist du bereit. Wenn nicht: noch sortieren.

Beispiel (innere Klärung):
„Im Jour fixe hat Alex Sarah dreimal unterbrochen. Wirkung: ihre Idee ging unter, Unruhe im Team. Wunsch: ausreden lassen oder Handzeichen.“

3. Bevor du korrigierst: Ursachen verstehen & Perspektive wechseln

Der häufigste Denkfehler ist der Attributionsfehler: Wir schreiben Verhalten dem Charakter zu („rücksichtslos“), statt den Umständen (Zeitdruck, unklare Prioritäten). Konstruktive Kritik fragt zuerst nach Ursachen – nicht, um zu entschuldigen, sondern um wirksam zu werden.

Typische Ursachen – kurzer Check:

  • Klarheit: Waren Ziel, Rollen, „Definition of Done“ eindeutig?
  • Information: Hatte die Person alle nötigen Infos/Entscheidungen?
  • Kapazität: Überlast, Prioritätenkonflikt, mehrere P1 gleichzeitig?
  • Kompetenz/Erfahrung: Ging es um etwas, das (noch) nicht geübt ist?
  • Anreize: Belohnt das System A, erwartet aber B?
  • Sicherheit/Beziehung: Angst, übergangen zu werden; Status-/Fairnesstrigger?

90-Sekunden-Perspektivwechsel: Würde ich in ihrer Rolle anders handeln?
Welche Deadlines, Stakeholder, Risiken hat die Person? Wo hätte ich trotz guten Willens gestrauchelt – und was hätte mir geholfen (Vorlage, Priorisierung, Moderation)?
Aus dieser Einsicht entstehen faire Bitten und tragfähige Lösungen.

4 Das Gespräch führen: ruhig, kurz, lösungsorientiert

Eröffnen (Absicht + Erlaubnis):
„Ich habe eine Beobachtung, die unsere Meetings besser machen kann. Passt dir jetzt ein kurzer Austausch?“

Beschreiben, ohne zu bewerten (Situation/Verhalten):
„Gestern im Jour fixe hast du Sarah dreimal unterbrochen, während sie die Lösung vorstellte.“

Wirkung benennen:
„Dadurch wurde es hektisch und der Kern ging unter.“

Ursache offen erfragen (statt unterstellen):
„War es der Zeitdruck – oder die Sorge, nicht mehr dranzukommen?“

Bitte formulieren (konkret, machbar):
„Mir hilft, wenn Beiträge erst zu Ende kommen. Wollen wir Handzeichen nutzen – und ich moderiere das?“

Einladung zum Dialog:
„Wie hast du die Situation erlebt? Was würde dir helfen, das umzusetzen?“

Next Step + Nachhalten:
„Lass es uns im nächsten Meeting testen. In einer Woche 5 Minuten Check-in – passt?“

Merksatz: Ursache → Wirkung → Alternative – im Dialog, nicht im Duell.

5 Wenn die Kolleg*in überrascht ist: Halt geben statt nachlegen

Überraschung ist normal: Viele kennen die Wirkung ihres Verhaltens nicht.

  • Pausen zulassen. Stille ist kein Nein.
  • Würdigen. „Danke, dass du dir das anhörst – ist nicht selbstverständlich.“
  • Gemeinsam deuten. „Könnte es am Zeitdruck gelegen haben?“ statt „Du willst dominieren.“
  • Optionen anbieten. Handzeichen, Redeliste, Moderator*in ordnet die Reihenfolge.
  • Eigenanteil benennen. „Ich habe die Meetingregeln nicht klar gehalten – das ist mein Anteil.“

Wenn Gegenwind kommt:
„Ich höre Ärger. Mir geht’s um die Sache, nicht um dich als Person. Wollen wir 10 Minuten pausieren und dann mit kühlen Köpfen weitermachen?“

6 Heikle Kontexte kurz lösen

Im Meeting live: Nicht zurückschießen. Notieren, nach dem Termin ruhig ansprechen:
„Ich möchte den Flow nicht kippen. Lass uns gleich danach kurz sprechen.“

Im Chat/Slack: Keine Kritik zwischen Emojis und Schnellfeuer. Nur Rahmen klären:
„Mir ist X aufgefallen – können wir heute 10 Minuten sprechen?“

Dritte sprechen dich an („Hast du gehört, was Y …?“): Nicht triangulieren.
„Ich habe es gehört, kläre das direkt mit Y.“

7) Für Betroffene: souverän reagieren, wenn dich Kritik überrascht

Atmen – zwei ruhige Züge. Das verhindert den Rechtfertigungs-Autopiloten.
Ankerfragen: „Was genau hast du beobachtet?“ – „Wann war das?“ – „Welche Wirkung hatte es?“
Paraphrasieren: „Du sagst, mein Einwurf wirkte abwertend, weil … Habe ich dich richtig verstanden?“
Dank & Option: „Danke fürs Ansprechen. Wollen wir vereinbaren, dass ich Einwände erst nach der Präsentation bringe?“
Grenzen setzen: „So mag ich nicht sprechen. Gern mit Respekt – dann klären wir’s.“

Goldantwort:
„Danke. Ich denke kurz nach. Was wünschst du dir konkret fürs nächste Mal?“

8 Mini-Formulierungen für häufige Situationen

Zu spät liefern:
„Die Unterlagen kamen 20 Minuten nach dem Kunden-Call. Ich musste improvisieren – das stresst. Welche Prioritäten hattest du parallel? Können wir vereinbaren, dass Material spätestens 30 Minuten vorher fertig ist? Wenn zwei P1 kollidieren, priorisiere ich mit dir und informiere den Kunden.“

Passiv-aggressive Bemerkung:
„Der Satz ‚hat ja eh keiner Zeit‘ hat mich getroffen. Ich wünsche mir, dass Kritik direkt an mich geht. Was brauchst du von mir, damit du das offen sagen kannst?“

Zu viel Redeanteil:
„Du hast heute sehr viel Raum genommen; Ideen anderer blieben liegen. Wenn die Sorge ist, übergangen zu werden, lass uns Redeliste/Handzeichen nutzen. Ich achte mit drauf.“

9 Häufige Fehler – und die kurze Alternative

  • Im Affekt sprechen → erst regulieren, dann reden.
  • „Immer/nie“-Etiketten → eine konkrete Situation nennen.
  • Motiv unterstellen → Wirkung beschreiben, Ursache erfragen.
  • Mail statt Gespräch → sensibel: persönlich/Video.
  • Kein Follow-up → kleiner Check in 7–10 Tagen.

10 Fazit: Handwerk statt Hauruck

Konstruktive Kritik unter Kolleginnen ist erlernbar. Wer runterkommt, den Bedarf klärt, Ursachen prüft und dann in kurzen, klaren Sätzen spricht – und zuhört –, schafft Verbindlichkeit ohne Verletzung. Der Perspektivwechsel („Hätte ich in ihrer Lage anders gehandelt?“*) senkt die Temperatur und erhöht die Treffsicherheit. So wird aus Kritik nicht ein Schlagabtausch, sondern gemeinsame Verbesserung.

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Welche Formulierung funktioniert fast immer?

Gestern im Meeting (Situation) hast du mich zweimal unterbrochen (Verhalten). Dadurch wurde es hektisch (Wirkung). Mir ist Übersicht wichtig (Wert). Magst du künftig Handzeichen geben, dann nehme ich dich dran? (Bitte)“
Kurz, konkret, ohne Motivunterstellung – und mit einer machbaren Alternative.

Was, wenn die Kollegin/der Kollege abblockt oder defensiv reagiert?

Emotion benennen („Ich höre Ärger“), kurz pausieren lassen, dann Verständnisfragen: „Was hat dich unter Druck gesetzt? Was hättest du gebraucht?“ Zum Abschluss eine kleine, testbare Vereinbarung treffen.
Kompakttraining-Tipp: Bei wiederholter Abwehr: neutrales Drittmoderations-Gespräch ansetzen (10–15 Min.).

Wie verhindere ich, im Affekt zu hart zu klingen?

Erst regulieren, dann reden: 4-6-Atmung (4 Sek. ein, 6 Sek. aus), zwei Minuten bewegen, drei Stichworte notieren (Situation, Wirkung, Wunsch). Sprich in Ich-Botschaften und ohne „immer/nie“.
Kompakttraining-Tipp: Wenn der Puls noch hoch ist: Termin für später vereinbaren.

Habe ich ein Recht, Kritik zu üben?

urz: Ja – wenn sie arbeitsbezogen, sachlich und respektvoll ist. Als Kolleg*in hast du ein berechtigtes Interesse, Verhalten anzusprechen, das Ergebnis, Zusammenarbeit, Sicherheit/Compliance oder Werte betrifft. Das ist kein Freifahrtschein fürs Dampfablassen: Nutze den passenden Rahmen (unter vier Augen), bleib bei beobachtbaren Fakten und biete eine umsetzbare Alternative an. Grenzen: keine Bloßstellung, keine Unterstellungen, keine diskriminierenden Aussagen; Vertraulichkeit wahren. Wenn es um Regelverstöße/Benachteiligung geht: interne Beschwerde- bzw. Meldestellen nutzen (Betrieb/Whistleblowing).
Kompakttraining-Tipp: 3-Fragen-Check vorab: Betrifft es Arbeit? Kann ich es konkret benennen? Habe ich eine faire Bitte parat?

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